Flüchtlingsdrama


Leserbrief zum Flüchtlingsdrama in Nordafrika im Oktober 2005

Unter den Überschrifen „Wir brauchen eine menschlichere Politik” (Kreiszeitung) und „Hässliche Flecken auf unserer europäischen Weste” (Nordwest-Zeitung) wurde der folgende Leserbrief von Peter Dirichs am 14. Oktober veröffentlicht.

Seitdem die letzten spanischen Bastionen Melilla und Ceuta in Nordafrika von tausenden Afrikanern auf dem Weg in unsere Festung EU massiv berannt werden, ist die große Gefahr für unser Schutzgebiet Europa wieder ein Thema der Medien. Die „Wirtschaftsflüchtlinge” bedrohen unsere Fleischtöpfe. Es gilt also, die Grenzsperren unüberwindbar zu machen und notfalls auch militärisch zu verteidigen.

Die Art und Weise, wie die Menschen zum Rückzug durch die Wüste ohne Verpflegung und Wasser gezwungen wurden, ist geradezu unglaublich. Ist unser Humanismus nur für den Hausgebrauch bestimmt? Die Frage, warum die Afrikaner diese ungeheuren Strapazen und Risiken auf sich nehmen, scheint keine Rolle zu spielen. Es könnte ja sein, dass die hässlichen Flecken auf unserer europäischen Weste sichtbar werden.

Ich will mich jetzt nicht über Sklavenhandel, Kolonialismus und Auswirkungen des Klimawandels auslassen, obwohl die auch eine erhebliche Rolle spielen. Mir geht es um den Umgang mit dem Afrika der heutigen Zeit. Bei mehreren Besuchen der bitterarmen Republik Mali in Westafrika habe ich die Probleme des Landes hautnah erlebt. Hauptexportprodukt des Landes ist Baumwolle, an der das Land jedoch nichts verdienen kann, weil die USA den Baumwollanbau im eigenen Land so stark durch Subventionen fördern, dass die Weltmarktpreise durch das Überangebot so niedrig sind wie nie zuvor. Doch die höchsten Subventionen werden in der EU für den Baumwollanbau in Griechenland und Spanien gezahlt. Während wir uns durch hohe Zölle gegen marktstörende Importe schützen, haben die afrikanischen Staaten diese Möglichkeit nicht, sondern sind schutzlos den Markt zerstörenden, hoch subventionierten europäischen Produkten ausgeliefert.

Die Heuschreckenplage des vergangenen Jahres, die vorauszusehen war* und die mit relativ geringen Kosten hätte verhindert werden können, führte durch Ernteausfall zu einer Hungersnot in diesem Jahr. Auch hier hätte Vorsorge getroffen werden können. Wo blieben denn die sonst so üppig fließenden Agrarüberschüsse aus Europa?

Hungersnöte im Sahelland Mali hat es auch in den siebziger und achtziger Jahren gegeben. Damals sind viele Afrikaner zum Arbeiten nach Frankreich und an die Elfenbeinküste gegangen und haben durch ihren Verdienst im Ausland zum Überleben ihrer Familien beigetragen. Viele leben noch heute in Frankreich und fühlen sich bestimmt nicht sehr glücklich dort. Die chronische Not in ihrer Heimat macht sie jedoch unabkömmlich.

Durch den Bürgerkrieg an der Elfenbeinküste und die Zugangssperre nach Europa sind beide Wege jetzt blockiert. Die abgewiesenen jungen Afrikaner wurden auf den Weg geschickt, um ihren Familien das Überleben zu ermöglichen. Warum tragen wir nicht so zur Entwicklung der armen Länder bei, dass auf den Bau von Grenzsperren verzichtet werden kann? Warum sind wir erst bereit zu helfen, wenn Bilder von Verhungernden über den Bildschirm flimmern? Warum ändern wir unsere Politik nicht, die unter Ausnutzung einer starken Position im Weltgefüge allein auf den eigenen, schnellen Vorteil ausgerichtet ist?

Mit freundlichen Grüßen Peter Dirichs

* nicht im Leserbrief enthaltene Anmerkung: Für die beiden Dörfer Bambéla und Darsalam in der Region Kayes, die von der Brücke Nordenham-Kayes unterstützt werden, ist schon im Herbst 2004 vorausschauend Getreide angeschafft und eingelagert worden. Dank dieser Hilfsaktion, die durch eine Vielzahl von Spenden ermöglicht wurde, konnte der drohenden Not frühzeitig begegnet werden.